blöd
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Ich war ja auch mal Lehrer, Deutschlehrer in den Niederlanden. Und kluge Lehrer fragen ja mehr, als sie (besser) wissen, sonst wären sie nicht klug, sonst würden sie auch nicht klüger.
Also hier die Frage: was bedeutet ‚blöd‘ eigentlich? Wir benutzen ‚blöde Kuh‘, ‚blöder Fehler‘, ‚Blödmann‘ usw. Aber was meint ‚blöd‘?
Wer sich mit Texten beschäftigt, die 200 Jahre und älter sind, sollte auch mal nachschauen, was diese Worte damals, zu der Zeit, als sie aufgeschrieben wurden, bedeuteten, meinten. Meistens trifft man dann auf nicht-Eindeutiges, schon damals. Und dann ging das Wort samt Bedeutung durch einige Generationen, über einige Landstriche hinweg zu uns, ins Heute, letztlich in den Duden und in die Wikipedia. Auf diesem Weg verlieren viele Worte ihren erkennbaren Bezug zum Damals.
‚Blöd‘ hat schon sehr lange eine Bedeutung wie minderbemittelt, schwachsinnig wäre übertrieben, klebt aber, vor allem umgangssprachlich, immer dran. Letztlich ist es ein abwertendes Wort, auf den Menschen bezogen. Denn blöde Bäume oder blöde Maschinen gibt es nicht. Noch nicht einmal blöde Fragen, sondern nur blöde Antworten.
Hölderlin hat ein Gedicht mit dem Titel ‚Blödigkeit‘ versehen und Thema dieses Gedichtes ist, wie ja fast alle seine Gedichte dieses Thema mindestens streifen, wenn nicht ins Zentrum stellen, Thema ist der Dichter in seiner Zeit, die Haltung des Dichters gegenüber der menschlichen Welt und den Himmlischen. Wieso aber ‚blöde‘? Hölderlin hat sich nie und würde sich auch nie als geistig minderbemittelt oder sogar schwach im Sinn benennen.
Zum Glück gibt es ein Wörterbuch der schwäbischen Sprache aus dem Jahre 1831, zusammengestellt von Johann Christoph von Schmid, und im digitalen Zeitalter findet man dies sogar im Internet. Ein solches Buch zu machen, das dauert meistens mehrere Jahre, mit Vorarbeiten und Sammlungen usw. kommen da auch schnell 10-20 Jahre zusammen, genaues weiß man nicht, aber es ist absolut gültig für den Schwaben Hölderlin um 1800.
Da steht, gleich vorne, unter Ziffer 1, zum Wort ‚blöd‘ das Folgende:
1) wenn durch Abtragen die Fäden an Kleidungsstücken sichtbar werden, dünne, dem Zerreißen nahe;
Die (eine, schwäbische) Bedeutung des Wörtchens ‚blöd‘ heißt heute ‚fadenscheinig‘. Der Stoff ist abgenutzt, man kann die Webfäden erkennen, dünn, durchsichtig bis auf die Struktur.
Ich beschäftige mich nun hauptsächlich mit Rhythmus und Struktur der Verse Hölderlins. Was für ein Fund. Der Dichter entblößt sich, er macht Struktur sichtbar. Und er nennt dies im Titel. Wie blöd‘ ist das denn?
Die Niederländer haben dieses Wort sogar noch deutlicher in ihrer Sprache aufgehoben: ‚bloot‘ heißt hier ’nackt‘.
Und allen Feinschmeckern der Hölderlinschen Lyrik sei folgender Hinweis gegeben: im oben abgebildeten Erklärungs- und Beispieltext zu ‚blöd‘ taucht ein anderes Wort zweimal in der Beschreibung auf: ‚einfältig‘ !