Hellingraths ‚harte Fügung‘

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Wer sich länger als ein paar Stunden mit Hölderlin befasst, wer auf Spurensuche geht und die Rezeptionsgeschichte beschaut, begegnet Hellingrath. Auch hier kann der Eintrag in der Wikipedia weiter helfen, wenn auch letztlich nur oberflächig.

Von Norbert von Hellingrath stammt auch der Ausdruck der ‚harten Fügung‘, unzählbar oft in der wissenschaftlichen Literatur zu H genannt, doch selten auch dargelegt. Daher hier die originalen Worte Hellingraths:

Ich habe ausgeschnitten, was mir als Sprecher wichtig ist, der ganze Text ist zu finden auf der von mir sehr oft besuchten Webseite der Uni Duisburg.

 

Wir können diese bezeichnung als harte und glatte fügung wiedergeben und sagen sie mache sich geltend durch härte und glätte der fugen zwischen den einzelnen elementen/ und dies durch die drei gleichlaufenden schichten hindurch: den rhythmus der worte/ des melos/ der laute, diese drei parallelen rhythmen werden
in harter fügung irrationalere minder übersichtliche minder gebundene (nicht etwa minder gehaltene) und in höherem grade einzige bildungen aufweisen, für uns/ die wir von der begrifflich unsinnlichen seite herkommen/ wird als wesentlich erscheinen dass in harter fügung möglichst das einzelne wort selbst taktische einheit sei/ in glatter dagegen das bild oder ein gedanklicher Zusammenhang meist mehrere Wörter sich unterordnend, die glatte fügung ist also minder unmittelbar und wird daher leicht bei fortschreitendem schwinden der Sinnlichkeit der alleinherrschaft in der dichtung sich nähern/ wobei dann bezeichnend ist dass die einheiten fest/ stereotyp/ werden d. h. dass das wort als untergeordenter bestandteil immer gleich in starren überlieferten Verbindungen auftritt,

wo glatte fügung einfachste formen und Ordnungen/ viel gebrauchte worte/ möglichst wenig auffälliges zeigte/ erstaunt die harte durch ungewohnte und fremde Sprache, der glatten fügung kam alles darauf an zu vermeiden dass das Avort selbst dem hörer sich aufdränge, der sollte gar nicht bis zum worte gelangen/ nur damit verbundene associationen erfassen die als factoren das eigentlich wesentliche bildhafte oder gefühlartige ergeben, daher mußte das wort möglichst bescheiden zurücktreten/ mit möglichst
geringer Spannung dem Zusammenhang sich einordnen, harte fügung dagegen tut alles das wort selbst zu betonen ^ und dem hörer einzuprägen/ es möglichst der gefühls- und bildhaften associationen entkleidend auf die es dort gerade ankam, hier wird also in der Wortwahl/ auch wo man keine besondere dichtersprache hat/ das tägliche und gewohnte vornehmlich aber die hergebrachte Verbindung gemieden/ das schwere prangende und die vielsylbige Zusammensetzung gesucht^/ als welche von selbst ton und sinn auf sich lenken, dabei wird das wort häufig in der grundbedeutung gebraucht statt wie sonst in einer abgeleiteten, umgekehrt aber wirkt/ auch wo es der logische Zusammenhang nicht verlangt/ von einem worte nur das etymon/ weil eben durch die ganze Umgebung der sinn des hörers darauf gerichtet ist. Im syntaktischen derselbe gegensatz: dort das einfachste und schmiegsamste/ hier erstaunlichere Satzgefüge: anakoluthe/ bald prädicatlos hingestellte worte/ in deren kürze ein satz zusammengedrängt ist/ bald weitgespannte perioden/ die zwei drei mal neu einsetzen und dann doch überraschend abbrechen: nur niemals die widerstandlose folge des logischen Zusammenhangs/ stets voll jähen wechseis in der construction und im widerstreit mit den perioden der metrik. War die glatte fügung je einmal von der üblichen Wortstellung abgewichen/ so bezweckte sie damit nur noch innigere Verschmelzung zur einheit über dem wort/ so: ‚liebste
mein‘ für ‚meine liebste‘, hier aber gilt es die übliche aneinanderlehnung der worte zu stören: wenn etwa ein wort mit seinem attribut verschmelzen möchte zu einem begriff der zwischen beiden Worten liegt — schnelle schlachten/ erhabenste beiden — und wir deshalb nicht so recht mehr auf jedes einzelne der beiden worte achten mögen/ durch eine kühne verschränkung sie auseinander zu reiszen: in schnellen erhabenste heroen in schlachten/ wobei durch die eine trennung auch bei dem andern paar die Verschmelzung verhindert ist. so lassen sich selbst pronomina conjunctionen und andres der art isoliren/ die ohne das stärkende dieser syntaktischen Spannung an die ihnen eng zugehörigen Wörter sich lehnen müssten: ‚um meine fliegend die kunst\ So/ von schwerem wort zu schwerem wort reiszt diese dichtart den hörer/ lasst ihn nie zu sich kommen nie im eignen sinn etwas verstehen vorstellen fühlen: von wort zu wort muss er dem ströme folgen und dieser wirbel der schweren stoszenden massen in seinem verwirrenden oder festlich klaren schwunge ist ihr wesen und eigentlicher kunstcharakter. und wenn bei glatter fügung der hörer zunächst von einer Vorstellung erfüllt war/ so sehr dass im äuszersten falle er das wort selbst kaum noch erfasst/ so erfüllt ihn hier so sehr das tönende und prangende des wortes/ dass er im äuszersten falle dessen bedeutung und was damit zusammenhängt kaum noch erfasst^. Dieses phänomen der harten lyrischen fügung/ hier unsrer zeit gemäsz vom wort her betrachtet/ hat mit besser gebildetem ohr Dionysius vom blosz phonetischen her untersucht, nicht minder gut könnte man es aus dem gesichtspunkte der satz- und versmelodie begreifen.

 

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