Ratschlagend
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Die erste Ode der Nachtgesänge, betitelt Chiron., umfasst 13 Strophen im alkäischen Metrum.
Schon die allgemeine Definition einer Ode benennt diese als Gesang, als Gefüge von sprunghaften Gedanken, gebunden im Rhythmus.
Aber Hölderlin geht in seinen Nachtgesängen sehr eigenwillige Wege. Er gibt mir keinen einzigen eindeutigen Gedanken (und es kennet kein einziger nicht das Beste); , jeder Vers und, taucht man tief genug, jedes Wort lässt sich nirgendwo festnageln. Es sei denn, dass …
… in der 3. Strophe, nach Strophenenjambement, jemand, genannt „Du“ fast allzubereit kam, mit folgender Einschränkung, oder Bedingung, oder ist es eine Ergänzung?
So Füllen oder Garten dir labend ward, / Ratschlagend, Herzens wegen. …
Was meint das?
Monatelang, bis gestern, hatte ich hierzu ausschließlich Fragezeichen auf der Linse. Aber dann musste ich einem Legastheniker, welcher bewusst seine Qualitäten im Bilddenken weiter ausbildet, die Hölderlinschen Vers-Fugen, Vers-Furchen deutlich machen. Ich redete von Gärten und Pflug, von Trochillus als Hohlkehle in der Säulengestalt, ich verbildliche Ordnung und Schönheit, auch Rede und Erde in anagrammatischer mehrfach-Bedeutung, die einem Legastheniker „Home, sweet Home“ bedeutet, etc. Und auf der Heimfahrt purzeln meine Fragezeichen zu Füllen oder Garten, als ob ablegte den Mantel Gott, heute sagt man „wie Schuppen von den Augen“. Und ich sprach die Verse erneut und ich ließ Handbewegungen dazu, und siehe da: ich beschreibe einen Kreis beim Wort Ratschlagend, und da kommt das Bild des sich drehenden Rades, da scheint ein ganzkörperlich geschlagenes Rad (Turnen), da kommen aber auch die Schläge eines Rates, also die verletzende Besserwisserey, ich bin elektrisiert, ich buche mir eine Auszeit der Pflichten und stöbere weiter. Erkenne die Trennlinie: Geschrieben scheint es eindeutig, aber doch nur, weil man über ganz viel hinwegliest. Wer es spricht und sein phonetisches Bewusstsein richtet, erkennt, dass Radschlagend und Ratschlagend phonetisch eine Millsekunde auseinander liegen. Gibst du ein kurzes gehauchtes „h“ hinter die Silbe Rat, spricht der Rath, nimmst du dieses „h“ weg und bindest direkt, erklingt das Rad. Diese zweigeschlechtliche, punktgenaue aber total unscharfe Klinge, das wird mir immer mehr zum unschuldigsten aller Geschäfte. Und, nebenbei bemerkt, ich könnte jetzt, tue es aber nicht, 2 Dutzend andere „Fragezeichen-Stellen“ aus den Nachtgesängen auf dieser Deutungsebene zu entschlüsseln versuchen.
Denn was (buchstaben)genau macht Hölderlin in diesen eineinhalb Versen zu Beginn der dritten Strophe von Chiron.? Er setzt FÜNF Mal eine Silbe, dieser mehrfach (be)deutende, semantisch-syntaktische Sprach-Träger, klingend auf dem Ur-Ur-Urvokal „a“ auf jeden Iktus im Vers hintereinander: Gart [..] lab [..] ward, Rat [h] schlag [..] , was auch immer das bedeutet, es klingt überdeutlich und befördert das Wort „Ratschlagend“ absichtlich in den Fokus. Wenn nun, und dies sei eine Hypothese, wenn nun Füllen gegenüber Garten den mythischen Topos Natur (Fülle, Chaos) gegen den eines menschengemachten Regelwerkes zum Anbau von Früchten meint, wenn Ratschlagend auch den Trochäus, als Bewegungsfigur eines sich drehenden Rades meint, wenn die Bedeutung dieser eineinhalb Verse auch ein auf Poesie und Rhythmus bezogener, innerer Verweis ist?
Dann habe ich ein Bild, aber ein phonetisches. Dann kann ich Beziehungen zum Stimmklang im Raum fügen, und weiß gleichzeitig um die philologische Expertise; dann wird der Raum frei für Rhythmus und klingende Sprache. Dann verschaffe ich als Performer dem Hölderlin mit diesen zehn Worten ein Sprach- und Assoziationsgebilde, welches schriftlich nicht auf einer A-4 Seite nicht umfassend erklärt werden nicht kann.
Er baut sich seine eigene Konfliktspalte, polarisiert, fragt, (er)klärt-(er)zählt, und versinnbildlicht anscheinend Sprunghaftes, doch die Linie, der Weg, und die Figur dieser Sprünge passen zueinander. wo bist du, Licht?
Mit wo bist du, Licht? wird das Du genannt, der Ort des Lichtes wird erfragt, erbeten, angesungen.
Licht hat aber keinen Ort, wohl eine Quelle, ist aber überall. wo fragt aber genau nach dieser Begegnung im Raum.
Geht die Sprache aorgisch in die Fülle, ins Natürlich-Chaotische, in den Dschungel, in die Wälder, wo die Ernte, wie von selbst, für alle labend, einfach da ist? (mit allen Gefahren!), oder geht die Sprache in die geraden Gärten (An die Eichbäume), und in der Menschen Furchen und gepflügten Trochilen? Auf diesem Gedanken leuchtet Ratschlagend mindestens doppelt (trochäisch, „der dreht am Rad ..“) und auch verletzlich gegenüber Fremdbestimmtem, dem autoritären Regelwerk, und es nennt buchstabengenau Hölderlins fantastische Reise in seine Welt, in seine Entäußerung, sowohl von brillanter Jonglage, wie auch stringenten Formgesetzen.
Und wie weiter? tja, zählen Sie selbst, wieviel andere Vokale, außer dem e, jetzt gesetzt werden: Herzens wegen, .
Und was bedeuten diese beiden Worte? Herz = aufrecht, Urkraft im Bios, ermöglicht erst ein reflexives Hirn, Rhythmusgeber, Schrittmacher; wegen ist auch ein Weg. Wegen eines Grundes, Ursache-Folge, Logik ist vor allem ein Weg, auch mal ein Steg, auch ein Pfad, eine Straße, ein Ufer, eine Gasse, ein Flug über die Alpen, ein Fluss.
Herzens wegen ist semantisch-syntaktisch akephal, denn es fehlt etwas: des Herzens wegen? auf Herzens Wegen? In dieses flirrende Geflecht Klarsichtfolien der Sprache als Klang in der Zeit, da muss sich jede(r) reinfuchsen, beim Hölderlin. Da ist doch andere Klarheit.
Und wie dann weiter? tja, hören Sie selbst, welche anderen Vokale außer dem „e“ und dem „a“ jetzt gesetzt werden: wo bist du, Licht? und wie die Akzente und Längen und Tonintervalle dieser vier Einsilbigen im gesteigerten Fall jetzt leuchten.
Das Wortpaar Herzens wegen steht dem abgeleiteten Kompositum Ratschlagend gegenüber. Beide folgen dem dipodischen Fülle oder Garten. Lässt die Sprache hier auch Emotionen rein, dann geraten die vielen Fragen dieser Ode und des gesamten Zyklus in die Abteilung „aufrichtiger (herzlicher) Dialog mit den Himmlischen“, mir ist es ein Handeln an der Deixis der Würde.
Ich versuche eine Paraphrasierung der ganzen Ode Chiron. : Hier, du Licht, diese Welt kann ich dir bieten. Dort die Menschenfurche, dort die Natur. Ich kann nur hoffen, dass dich das labt. Doch wahrscheinlich, so wie ich die Sache kenne, werden wieder Blitze einschlagen, wo weiche Wellen wiegen wollten.
Doch weil du Licht ja himmlisch bist, hast du immer Recht, auch da, wo ich draufzahle, da, wo ich vernichtet werde, obwohl ich doch bloß den Weg meines Herzens gehe. Doch höre mir bitte genau zu! Vielleicht sind meine Verse ja doch eine Freude für dich.
Diesen Subtext in der Assoziations- und Interpretationswelt des Publikums mit flüchtiger Sprache zu initiieren und zu verankern, das versuche ich, Herzens wegen.
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