Wechsel der Töne

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Es heißt nicht ‚Wechsel der Gedanken‘, nicht ‚Wechsel der Empfindung‘, nicht ‚Wechsel des Ausdrucks‘ und auch nicht ‚Wechsel der Anschauung‘ – und auch nicht, aber wirklich nicht: ‚Wechsel der Tonhöhe‘.
Es steht da: ‚Wechsel der Töne‘.

Was sind das für Töne? Wo kommen sie her? Wo gehen sie hin? Wie klingen sie wieder? Und, sind dies die richtigen Fragen?
Wie sie wechseln sollen, die Töne, ist einigermaßen klar. hinh. Heroisch wechselt ins Idealische, das ins Naive und dem folgt wiederum das Heroische usw. Je nachdem in welcher Gattung, episch, dramatisch oder lyrisch, ändert sich die Anfangsposition, nie aber das Gefüge hinh, inhi, nhin.

hinh

 

Hölderlins Kürzelfolgen sind 4-stellig ; er endet immer mit dem anfänglichen Ton, besetz vier Positionen mit drei Elementen. Dies ist eine basale rhythmische Form.

Was aber ist ein heroischer Ton? Wie spreche ich den idealischen Ton? Wo sitzt ein naiver Ton? Wer Hölderlin spricht, muss sich diesen Fragen stellen. Aber glücklicherweise droht seitens der Wissenschaft wenig große klinische Gefahr; denn, die wissen es auch nicht.

Und doch muss ich die Verse sprechen, um zu erfahren, wie sie klingen. Also, ich weiß es erst nach der Erfahrung.

Das sei mir angenehmes Feld, um meine Reflexionen, mit meiner sprunghaften Energie abzugehen.

Die Töne (die da wechseln) meinen die Stimmung, mit der sich der Geist dem Stoffe nähert.

Unter einer Stimmung kann ich mir etwas vorstellen, Geige, Piano, Tonart, Laune, Farbe, auch Rhythmus, Weichzeichner, Licht usw.

Die Töne, meinen die Stimmung, mit der sich der Geist dem Stoffe nähert.

Was meint Geist und was ist der Stoff? Wer hat den Geist, wo ist der Stoff, woraus, womit, wofür? aha:

Deixis

 

Text, Sprecher-Saal-Sprache, Gedanken, … ich suche Überblick.

Dialektik für mich nicht-Akademiker: Es wird benannt: eine Bewegung (nähern); eine Bewegung braucht einen Raum, braucht einen Ausgangsort, und zumindest eine Richtung, wenn nicht ein Ziel. Braucht auch ein etwas, das sich bewegt. Sagen wir x bewegt sich von A nach (Richtung) B. Soll diese Bewegung erfasst werden, angeschaut, beschrieben, wie auch immer dargestellt, dann gibt es einen weiteren Aktor im Gefüge, nämlich den/die BetrachterIn. Ob die genannte Stimmung nun diesem Aktor gehört, oder einer im Aktor bewegten Reaktion auf die Bewegung, oder einem Licht, oder einem, das alles umfassenden Kosmos, in welchem, eventuell sogar durch ihn beeinflusst, die betrachtete Bewegung von A nach B erfasst wird, das alles sagt der Satz nicht. Dafür sorgt das unschuldige Wörtchen mit.

Die Töne, meinen die Stimmung, mit der sich der Geist dem Stoffe nähert.

Eins aber ist mir nicht mehr aus der Wahrheit zu schlagen: Es geht tiefer, als bloß in ein Strophen- oder Triasgefüge; es geht tiefer, als bloß in den Vers, tiefer als das Wort, sogar tiefer als die Silbe. Wenn ich Hölderlin spreche, egal ob ich die Ruhe selbst bin, oder Feuer gebe, ich wechsle meine Töne, in einer nicht nachvollziehbaren Frequenz. Laute, Metaphern, Syntax, Ikten, Klanggefüge, Versstrukturen, Periodenstrukturen, ich, der Sprecher, wechsle die Töne, wenn ich alle Ebenen mit hineinnehmen soll, ca 10 bis 50 Mal pro Vers. Und ich mache das nicht, weil ich es lustig finde! sondern, weil es da steht, buchstabengenau.

Und jetzt mach ich’s politisch. Jeder Mensch, der eine Sprache spricht, hat sich ein Instrument ausgebildet, welches viel mehr, unglaublich viel mehr kann, als dieser Mensch sich (meistens) bewusst ist.

Durch den lebenslangen Sprachgebrauch, im Geben wie im Nehmen, also die Gaben und die Namen, dadurch ist bereits ein/e 10-12 Jährige/r, manchmal auch jüngere, in der Lage, hochpräzise, sprachliche Kunstwerke zu begreifen und auch in ihrer Struktur wiederzugeben, im Ganzen darzustellen. Der Unterschied zwischen einer Violinistin und einem Sprecher ist ihr Instrument! das Geigenspiel verlangt nach viel Mühe und Zeit.

Die Sprache aber kennt eigene Lustwege.

 

Hölderlin spielte und komponierte mit der Qual des Perfektionisten, aber das freie, das unständige (unstädtische) Publikum begreift einen gesprochenen Satz-Gedanken in der Regel direkter und kerniger als einen musikalischen Satz-Gedanken.

 

Rings um ruhet die Stadt | Jetzt aber tagt’s | Und trunken von Küssen | Thore an Schönheit | der wie ein Pfeil ins Herz der Erde dringt | usw. Es gibt, meineswissens, wenig Zeilen aus Hölderlin’s Hand, die diese Untersuchung nicht lohnt.

Rings um ruhet die Stadt
ist doch sicherlich nicht heroisch. Nimmt man die Situation oder verbindet man Subjekt und Objekt durch das Verb? ups, es gibt kein Objekt, oder gibt es kein Subjekt, doch! denn das schreibt, spricht. Deixis am Phantasma.

Ist dieser Satz eine intellectuale Verallgemeinerung oder anschauendes Stilleben? Doch könnte ich diesen einleitenden Satz von ‚Brod und Wein‘ | ‚Die Nacht‘ heroisch sprechen? Ein energischer Dichter betritt nach dem Abendessen seine Stube, fegt mit Links seinen Schreibtisch leer und setzt sich vor einen Bogen Papier. (Schwanen)Feder, Tinte, tunkt, Wein, Pfeife. Er furcht seine Zeilen ins Papier. Die Tinte brennt und strömt und strahlt voraus und zurück. Hier wird mit Kraft geschrieben. Und ich kenne keine dramatisch fassbarere Manier, um sich selbst ins Zentrum alles noch Kommenden zu stellen, als zu beginnen mit den Worten Rings um. Startet hier ein Heros?


Jetzt aber tagt’s !
Klingt deutlich heroisch. Oder ist es eine Metapher, die, überhöht auf Zeitenwende und reflektierter Anschauung, in’s Heute zielt? Sprich es drei oder acht Mal hintereinander. Das zischt lecker und braucht einen inneren Rhythmus. Choriambus für Mutige.


Und trunken von Küssen 
auf den ersten Blick naiv pur sang; aber es geht weiter mit tunkt ihr das Haupt ! … und die Angesprochenen sind holde Schwäne, also Hölderlins Schreibfeder, der See wird Tinte; hochidealische Auflösung in der reflektierten Anschauung;


Thore an Schönheit 
Ähnlich wie eins weiter oben; drei Worte machen ein Gemälde; das wäre kräftig naiv; aber unter dem Blickwinkel, dass diese Glockenturmfenster ihren Ton und unseren Blick hinaus in die Welt der bleiernen Dächer und schreienden Schwalben (auch die Dichter) tragen, so flimmert jeder Versuch einer Festlegung durch seine Gegenparts im Dreieck.


Der, wie ein Pfeil, ins Herz der Erde dringt.
Bewegung (dringt) wäre dramatisch, das ganze ein Bild (Anschauung wäre idealisch) dann bleibt für die Wortbildobjekte (Pfeil, Herz, Erde) das Naive; das kann ich sprechen. Doch Herz und Pfeil kommen nicht aus der naiven Ecke, also einfach ist’s nicht. 10 Jahre später spricht H von einfältig. Wieder flimmert’s rückwärts.


himmlisch Gespräch ist sein nun.
Im Zentrum des letzten Vers von Ganymed, auf dem Grat zur schließenden Trias der Nachtgesänge, ein sehr prägnantes semantisch-rhythmisches Beispiel: -uu-u-u, eröffnet, wen überrascht’s, mit einem Choriambus, von ganz oben; himmlisch Gespräch.


In Menschenbeifall höre ich durch die Fügung der t-z-s-t, vorantreibende Stolpersteine. Mikrojonglage auf unvokalischen Lauten. Dadurch freigestellt, die Utopie im Zischfreien, im Brumm- und Vokalklang, das Weiche wird phonetisch angewiesen, Hölderlin ordnet seine Gesänge auch dem Klang nach.

Ist nicht heilig mein Herz, schöneren Lebens voll,

   Seit ich liebe? warum achtetet ihr mich mehr,

      Da ich stolzer und wilder,

         Wortereicher und leerer war?

 

Ach! der Menge gefällt, was auf den Marktplatz taugt,

   Und es ehret der Knecht nur den Gewaltsamen;

      An das Göttliche glauben

         Die allein, die es selber sind.


Und die Schwalben kriegen auch ihr Sch-Fett weg. Wer die drei sch’s im Übergang von Vers 2 zu 3 schnell zwitschernd geben kann, dem sei die Bewunderung des Publikums gewiss, denn jetzt erscheinen die Schwalben auch außerhalb vom, im präfontalen Kortex analysierten, semantischen Begriff. Da zwitschert, da zischt der Flügelschlag aber wie wirklich im Raum. Und, nota bene, im Gegenpol zu diesem gnadenschönen b-l-Gefüge in Vers 1 und auf der Schwalbe und der Bläue.

In lieblicher Bläue blühet

mit dem metallenen Dache der Kirchthurm. Den umschwebet

Geschrei der Schwalben, den umgiebt die rührendste Bläue.

 

Ach, närret machts.

 

Anderer Start. Dreiteilungen. Subjekt-Prädikat-Objekt, die Basis jeden Satzes, jeden Gedankens. Das Prädikat verbindet die Pole. Hat der Handlungsbeschreiber, der Wechselverursacher, das Prädikat als erweitertes Verb, als Funktionsträger im semantischen Räderwerk zwangsläufig heroische Gene? Der Gedanke hat den Charme der Vereinfachung. Subjekt und Objekt könnten mit idealischer Anschauung und naiver Empfindung spielen.


Da ich ein Knabe war zeigt ein hintangestelltes, unscheinbares Verb, klanglich mit dem einleitenden ‚Da‘ rein als Laut das Fundament des Knabenobjektes.
Das kann man so sprechen. Auch nicht sonderlich heroisch. Aber doch irgendwie im Schatten wohl. Denn der Sinn vom Halbsatz ‚Da ich ein Knabe war‘ wirft einerseits die Gedanken in die Vergangenheit, andererseits geht das anschließende ‚rettet‘ in zeitlicher Empfindung nach vorne, zur Frage: und dann? und jetzt?
[..] Geschrei und [..] Rute der Menschen erfüllt die Spiegelseite.

Alles hat drei Seiten.

Mindestens und schon immer.


Denn gerne fühllos ruht, / Bis daß es reift, Furchtsamgeschäftiges drunten.

Mein Gott ist das dunkel. Erreicht wird dieser Eindruck durch die Position der Elemente, ihre Fügung; denn dieselben Worte so geordnet:

Denn drunten ruht Furchtsamgeschäfftiges gerne, fühllos, bis dass es reift.

klingt nüchterner, wie eine Hoffnung.

Mit wem können wir hierüber kommunizieren? Wer ist wir?


Aber wo sind sie, wo blüh’n die Bekannten, die Kronen des Festes?

aus: Brod und Wein, (einziger holodaktylischer Hexameter im Werk);  5. Distichon der 6. Strophe, genau im Goldenen Schnitt der ganzen Elegie.


Hölderlin hat

die Idee des akustischen Kubismus

 

100 Jahre früher als die malende Zunft in der Sprache erforscht, bearbeitet und verwirklicht.

Jede Sprache, Hallo FakeNews, ist kubistisch. Nicht aber der Gedanke.

ich = ich? Diese Banalität einer grauen Wolke, im Hölderlinschen Antipoden-Spiegel benannt durch Bläue, gebläut, bleiernes Dach, erscheint a priori ad absurdum.

Ob Ich, absolutes Ich, Über-Ich, neben-Ich oder nicht-Ich, alle diese philosophischen Wege ist der Friz gegangen. Getrennt hat er sich von Hegel, Schelling, Schiller, Fichte, und weiteren, selbst von seinen Nachfolgern schon immer. Subjekt-Objekt! aber er hat diesen Verhältnissen im und um das Ich Anschauungen gegeben, die zu Recht den heutigen, erhab’nen Geistern den Atem nehmen möchten.

Wer diese Verse spricht, erlebt sein blaues Wunder. Er/Sie wird gebläuet, klirrt im Wind, furchtbargeschäftig. Meineserachtens geht es nicht anders, soll das alles klingen, was da geschrieben steht. Es ist eine Art Starkdeutsch.

 

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